Prüfungsangst: ein Sonderfall der Sozialen Angst

Was ist Prüfungsangst?

Es ist normal, vor einer Prüfungssituation Anspannung oder auch Angst zu empfinden. Prüfungen sind herausfordernde Situationen, in denen der menschliche Organismus aktiviert und erregt sein sollte, um optimale Leistung zeigen zu können. Nervosität und Anspannung sind notwendig und hilfreich, um Prüfungssituationen gut zu bewältigen. Von Prüfungsangst spricht man, wenn

  • die betroffene Person sich durch die Angst und/oder ihr daraus resultierendes Verhalten beeinträchtigt fühlt
  • die betroffene Person die Angst als übertrieben oder unangemessen empfindet
  • Prüfungssituationen nahezu immer Angst auslösen
  • Prüfungssituationen und/oder damit verbundene Themenbereiche (z.B. das Lernen für eine Prüfung) vermieden werden oder nur unter intensiver Angst ertragen werden.

Um von Prüfungsangst zu sprechen, müssen alle genannten Kriterien erfüllt sein. Der klinische Psychologe ordnet Prüfungsangst einer der folgenden Diagnosen zu:

  • Es handelt sich um eine Soziale Angststörung (Soziale Phobie), wenn die betroffene Person hauptsächlich vor einer möglichen Demütigung oder Peinlichkeit Angst hat, wenn sie sich also vor einer negativen Bewertung durch eine andere Person fürchtet.
  • Bei der Prüfungsangst handelt es sich um eine Spezifische Phobie, wenn die betroffene Person hauptsächlich vor einem Nichtbestehen der Prüfung Angst hat.

Woher kommt sie?

Bei Prüfungsangst kommt es wie bei jeder anderen Angstreaktion zu körperlichen Veränderungen. Bei Angst macht der Körper sich bereit für eine (bei Lebensgefahr) angemessene Reaktion: Kampf oder Flucht. Hierfür ist es sinnvoll, z.B. die Skelettmuskulatur besser zu durchbluten und dafür die Verdauung einzustellen, den Herzschlag zu beschleunigen, durch eine tiefere oder schnellere Atmung mehr Sauerstoff zur Verfügung zu stellen und durch Schweißbildung den Körper zu kühlen (bzw. für Angreifer „glitschiger“ und weniger griffig zu machen). Diese körperlichen Reaktionen werden durch das autonome Nervensystem gesteuert, das heißt, die einzelne Person hat keinen Einfluß darauf. Da der Körper nicht unterscheiden kann, ob ein ängstlicher Mensch sich in Lebensgefahr befindet oder z.B. in einer Prüfung, sieht die körperliche Reaktion immer gleich aus. Auf der kognitiven Ebene finden sich meist Gedanken, die die Angst noch verstärken oder überhaupt erst hervorrufen (z.B. „ich werde bestimmt durch die Prüfung fallen“ oder „ich habe solches Herzrasen, mit so großer Angst kann ich die Fragen nicht beantworten“). Diese Gedanken schießen meist blitzschnell durch den Kopf, sie werden ungeprüft als Tatsachen hingenommen und werden von Psychologen „automatische Gedanken“ genannt. Häufig finden sich logische Fehler in diesen automatischen Gedanken (z.B. eine Überschätzung der Wahrscheinlichkeit für ein Nichtbestehen der Prüfung). Auch im Verhalten zeigt sich die Prüfungsangst: Die Konzentration wird gemindert, da ein Teil der Aufmerksamkeit auf die Angst gelenkt wird. Es kann passieren, daß einem nichts einfällt, was man sagen könnte, daß man stottert oder Blickkontakt vermeidet. Ein viel größeres Problem entsteht aber durch das Vermeidungsverhalten: aufgrund der Angst wird die Prüfung kurzfristig abgesagt, man meldet sich erst gar nicht an oder vermeidet vielleicht sogar eine Ausbildung/ein Studium, um nicht in Prüfungssituationen zu kommen. So kommt es zu deutlichen Einschränkungen in der Lebensqualität.

Die Ebenen Körper, Gedanken und Verhalten wirken mit der Gefühlsebene (Angst) zusammen: hat man z.B. im Vorfeld einer Prüfung angstmachende Gedanken (z.B. die Fragen sind bestimmt viel schwerer als in meiner Vorbereitung) gibt es als Reaktion auf die daraus resultierende Angst körperliche Veränderungen (z.B. beschleunigter Herzschlag). Diese Veränderung wird wahrgenommen und als bedrohlich interpretiert (mein Herz rast, so kann ich mich nicht auf die Fragen konzentrieren), woraufhin die Angst steigt. Dies hat wieder eine körperliche Veränderung zur Folge (z.B. schwitzige Hände), was wahrgenommen und wiederum als bedrohlich interpretiert wird (jetzt fange ich an zu schwitzen, wenn ich so viel Angst habe, werde ich durch die Prüfung fallen)… Wie weiter oben beschrieben ist es normal, vor einer Prüfungssituation Anspannung zu empfinden. Aber wie kann es zur Prüfungsangst kommen? Eine mögliche Ursache sind negative Erfahrungen in der Vergangenheit. Befürchtet eine Person, die in einer früheren Prüfung aufgrund starker Angst die Fragen nicht mehr beantworten konnte, daß ihr das wieder passiert, kann sie Prüfungsangst entwickeln. Häufig nehmen die betroffenen Personen an, daß sie aus der Vergangenheit auf die Zukunft schließen können (wenn ich damals die Fragen nicht beantworten konnte, wird mir das in der nächsten Prüfung wieder passieren) und überschätzen dabei die Wahrscheinlichkeit für ein solches Ereignis. Eine andere mögliche Ursache für Prüfungsangst ist das Bestreben, eine perfekte Leistung zu zeigen. Wenn nur eine sehr gute Prüfung akzeptiert wird oder die Person den Anspruch hat, alle Fragen richtig zu beantworten, setzt sie sich damit unter einen hohen Druck. Die Wahrscheinlichkeit, den eigenen Ansprüchen nicht zu genügen, ist viel höher als die Wahrscheinlichkeit, die Prüfung nicht zu bestehen. Dieser Unterschied wird aber häufig übersehen, und somit wird die Wahrscheinlichkeit, die Prüfung nicht zu bestehen, überschätzt. Einen Einfluß auf Prüfungsangst hat auch das „Lernen am Modell“. Viele Personen machen die Erfahrung, daß Menschen aus ihrem Umfeld Aufregung und Angst im Vorfeld einer Prüfung deutlich zeigen. Sie lernen also, daß eine Prüfung eine gefährliche Situation ist, vor der man Angst haben sollte.

Wie kann man die Prüfungsangst bewältigen?

Zur Bewältigung der Prüfungsangst ist eine Voraussetzung, gut vorbereitet zu sein. Hier können Strategien zur Verbesserung der Lerntechnik helfen.

Bei einer verhaltenstherapeutischen Behandlung der Prüfungsangst greift man vor allem an zwei verschiedenen Punkten an:

  • Gedanken: die Gedanken werden beobachtet, automatische und angstmachende Gedanken identifiziert und anschließend hinterfragt: sind die Gedanken wirklich so logisch, könnte die Situation einen anderen Ausgang nehmen, was würde ich einem Freund sagen, der an meiner Stelle wäre? Ziel ist es, realistische und hilfreiche Gedanken zu entwickeln, die statt der angstmachenden Gedanken eingesetzt werden können (z.B. „wenn ich eine Frage gestellt bekomme, darf ich eine Pause zum Nachdenken machen, bevor ich antworte“ oder „auch wenn ich nicht jede Frage beantworten kann, kann ich die Prüfung noch mit einer guten Note bestehen“).
  • Verhalten: das Vermeidungsverhalten wird abgebaut, angstmachende Situation sollen wieder aufgesucht werden. Dies kann zunächst durch Übungen geschehen (z.B. Prüfungssimulation), in denen neue Verhaltensweisen eingeübt werden können (z.B. Blickkontakt halten, Nachfragen). Außerdem lernt die betroffene Person einen neuen Umgang mit der Angst: vielfach nimmt die Angst nämlich im Laufe einer Prüfung ab, ohne daß man direkt etwas gegen die Angst tun muß. Auch trotz bestehender Anspannung und Angst kann man eine gute Prüfungsleistung zeigen.